Zwei Fälle



Am heutigen Morgen war es frostig. Dazu sonnig und der Spaziergang bei nur -10 °C ein echtes Vergnügen. Auch wenn die Bodenoberfläche etwas glatt erschien. Die erste Überraschung des heutigen Tages war ein Meisenruf – schon in Ahnung des kommenden Frühlings. Die Blaumeise wiederholte ihren Triller mehrfach, flog dann aber ab.

Am Kiosk mit frischem Brot rief mich die Verkäuferin zu sich. Ob ich ihr behilflich sein könne. Sie hat ein deutsches Elektrogerät gekauft, aber ohne eine Anleitung in Russisch. Ob ich ihr wenigstens die wichtigsten Teile davon übersetzen könne. Das mache ich natürlich gern, denn die Frau bedient mich immer sehr freundlich. Es ist angenehm, gebraucht zu werden.

Ich sah wie jemand ausglitt und hinfiel. Mir ging es vor einem Tag so. Am Eingang zur Markthalle rutschte ich aus und fiel regelrecht in die Halle hinein. Zum Glück standen zwei Männer in der Nähe der Tür, welche mir sofort aufhalfen. Denn ich bildete ein richtiges Hindernis im Halleneingang. Was sie nicht konnten – meinen schmutzigen Ärmel säubern. Also musste mein Einkauf mit zusammengebissenen Zähnen und einem sehr unschön aussehenden rechten Ärmel getätigt werden. Über welchen sich natürlich auch meine Frau ärgerte.

Heute waren alle Straßenkehrerinnen unseres Wohnbereichs zusammengenommen worden, um die Überwege und Bushaltestellen eisfrei zu machen. Eine Gruppe aus sechs Frauen lachte bei der Arbeit fröhlich. Schnatterten und lachten wieder. Diese Arbeitsstimmung in der Morgenstunde hatte etwas Ansteckendes. Sie zauberte ein Lächeln auf die Gesichter. Auch bei mir.

Auf dem Rückweg geschahen gleich zwei Dinge, welche mich erfreuten. Eine uns entgegenkommende Frau sprach mich an: „Gehen Sie nicht mehr an dem Flussufer spazieren?“ Ich verneinte. Bei diesen Schneehöhen ist das Laufen am Flussufer sehr anstrengend. Die mir fremde Frau setzte fort: „Ich sehe sie häufig in der Nähe der Brücke. Deshalb habe ich sie angesprochen. Denn sie sind ein Prachtkerl! Sie bewegen sich vernünftig, um gesund und fit zu bleiben.“ Ein so deutliches Lob von einer unbekannten Frau verbesserte meine Stimmung deutlich.

Einige 100 m weiter kam uns ein Mann mit einem Hund entgegen. Ich erkannte Lucky, die helle Golden Retriever-Hündin. Das Tier ist nicht aggressiv und mag mich besonders. Nachdem sie den vorausgelaufenen Kai beschnüffelt hatte, lief sie sofort auf mich zu. Das Zusammentreffen konnte ich mir vorstellen. Deshalb ging ich leicht in die Hocke, um von ihr nicht umgestoßen zu werden. Jedoch war der Boden glatt genug, dass die mittelgroße Hündin mich beim Aufprall mit ihrem Körper von den Beinen riss. Ich lag auf dem Rücken und lachte. Das erstaunte Tier beschnüffelte mich sofort. Seine Herrchen war herangelaufen gekommen und half mir auf die Beine. „Haben Sie sich etwas getan?“ fragte er. Mich schüttelte noch immer Gelächter. „Sie hören – ich lache. Sonst würde ich schimpfen. Also ist alles in Ordnung. Ich freue mich dass ihr Hund mich mag.“ Er war deutlich erleichtert. Er wie alle Hundeliebhaber verstand, dass mich die Anhänglichkeit des hübschen Tieres wirklich erfreute. Wir verabschieden uns voneinander.

Daheim berichtete sich Natascha von unseren Erlebnissen. Sie erinnerte mich daran, dass ich heute einen Zahnarzttermin habe. Den habe ich nicht vergessen. Einige Minuten vor der Zeit kam ich den Warteraum der Zahnärztin. Ich wurde sofort herein gebeten, denn es war noch kein anderer Patient da. Das Einpassen des fertigen Stiftzahns dauerte nicht lange. Sie hatte ihn günstig farbig ausgewählt, ihre Gehilfin zeigte mir im Spiegel, dass sich Zahn zwei oben links in nichts von den anderen unterscheidet. Noch ein angenehmes Erlebnis an diesem Morgen.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger

P. S.
Während ich diesen Text mit Spracherkennungs-Programm schrieb, habe ich noch einige lustige Momente erlebt. Denn das eine und das andere Wort aus meinem Wortschatz hat das Programm sehr eigenwillig übertragen. Wie viele Maschinenprogramme.
Der deutsche Zeichner und Dichter Wilhelm Buch hat absolut Recht: „Glück entsteht oft durch Aufmerksamkeit in kleinen Dingen, Unglück oft durch Vernachlässigung kleiner Dinge.“





Sammelerlebnisse



Am 31. Januar d. J. traf ich eine Frau, von der ich vor längerem angesprochen worden war. Diese Natascha ist Kesselwärterin im Heizhaus unseres Stadtbezirks und freute sich, mit mir wieder ein wenig plaudern zu können. Sie freue sich auch darauf, bald in Rente zu gehen. Als ich ihr überzeugend darlegen konnte, wie grundsätzlich langweilig dieser „verdiente Ruhestand“ ist, lächelte sie. „Mich plagt gewiss keine Langeweile. Ich war Modellschneiderin. Werde den Frauen, die sich teure Mode nicht leisten können, zauberhafte Sachen anfertigen. Meine Freude an ihrer Zufriedenheit haben und meine Rente etwas aufbessern.“ Also auch hier gibt es Personen, die nicht nostalgisch in die Vergangenheit, sondern träumend nach vorne schauen.
Als ich an dem Tag heimkam und wie gewohnt in meinen täglichen Apfel biss, knackte es kurz und ein fester Fremdkörper mischte sich unter das noch grobe Apfelmus. Der zweite Schneidezahn oben links war abgebrochen. Von meiner Zahnärztin, der resoluten Mutti von drei wohlgeratenen Söhnen und humorvollen Fachfrau bekam ich telefonisch einen Termin am ersten Februar. Ihre Diagnose: die Zahnwurzel ist in Ordnung – wir werden einen Stiftzahn einsetzen. Erledigte sofort alle Vorarbeiten.
Am frühen Morgen des zweiten Februar ein Anruf aus Russlands. Die erste Frage, ob Jewgenij mich geweckt hätte. Dann zu einigen persönlichen Dingen und am Ende zur Sache. Ob ich mit meinen freundschaftlichen Beziehungen zum Geschäftsführer eines bestimmten mittelständischen Unternehmens nicht helfen könne, etwas rascher einen Supporteinsatz zu organisieren. Das Unternehmen in Samara, das seinem Bruder gehört, hat einige Probleme mit der vor Jahren gelieferten Spezialmaschine aus Deutschland. Wir besprachen das weitere Vorgehen, verabschiedeten uns. Trotz längerer Pause in den direkten Beziehungen – angenehm, gebraucht zu werden.
Wenn man morgens aus dem Haus kommt, als erstes fast eine Pirouette dreht, weil die Stufen zum Bürgersteig extrem glatt sind, wird man sofort endgültig munter. So war das am dritten Februar diesen Jahres. Der Eisschneepanzer des Bodens wurde mit feinem Nieselregen benetzt. Welcher sich sofort in einen dünnen Glatteisfilm verwandelte. Der vorausgeeilte Hund bekam kaum die auseinanderstrebenden vier Pfoten unter Kontrolle. Auch ich hatte arge Probleme, Nach etwa 50 m Schleichglitt in circa 20 Minuten beendete ich die risikoreiche Aktion. Der Hund war es auch zufrieden. Auf der Straße einige seltene Autos. Wenn sie bei geringen Geschwindigkeiten bremsten, schlingerten sie regelrecht. An dem Tag hätte ich kein Busfahrer oder Fernfahrer sein mögen. Abends aßen wir die letzten vier Scheiben des Brotes, das wir  noch hatten. An einen Einkauf war nicht zu denken. Als meine Zahnärztin anrief, weil der Ersatzzahn von ihrem Techniker bereits fertig gemacht war und sie mich in 20 Minuten versorgen könne, musste ich absagen. Das Risiko eines Sturzes auf dem Weg zu ihr wollte ich nicht eingehen. Wir verabredeten uns für den 06. Februar.
Als am späten Nachmittag nochmals das Telefon klingelte, war ich erstaunt. Denn am anderen Ende sprach der Chefarzt eines recht soliden Ärztehauses in Kiew. Den hatte ich zwar in guter Erinnerung, nachdem seine Spezialisten mit mir einen exzellenten Check durchgeführt und wir uns sehr angeregt zu vielen Themen ausgetauscht hatten. Aber ich konnte den Zeitplan eines solch verantwortlich Tätigen doch nicht bestimmen. Also war es etwas sehr ruhig geworden. Er würde sich freuen, wenn wir die Beziehung erneut aufleben lassen würden. Die 17 Minuten Gespräch waren sehr erfreulich. Wir werden uns wieder sehen.
Heute nun kam ein etwa 50-jähriger auf mich zu, grüßte in Deutsch mit starkem Akzent. Stellte sich als Vitalij vor. Er sah mein Erstaunen. „Ich habe vor einigen Monaten mit ihnen in der Frühe geredet. Wollte wissen, ob sie wirklich Deutscher sind und hier leben.“ An die Situation erinnerte ich mich. Wir sprachen etwas miteinander. Er bewunderte den gut erzogenen Hund, der ruhig neben mir saß. Verabredeten, dass wir bei besseren Wetterbedingungen bei einem Treffen mehr miteinander reden werden. Auch eines von den angenehmen Erlebnissen…

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger