Omelett...



Soeben habe ich den Rest meines Pilz-Omeletts verspeist – nicht einfach bloß gegessen. Weil: bis auf ein Häppchen, das meine Frau kostete, hat niemand in der Familie davon gegessen außer mir. 
Das war vor drei Wochen nach dem reichhaltigen Regen ähnlich. Nach zwei Tagen kamen an einer mir bekannten Stelle die Wiesenchampignons zum Vorschein. Als ich sie heimbrachte, wurden sie als „pagankij“ bezeichnet (nach Wunsch als ungenießbar oder gar giftig zu übersetzen). 
Vorgestern zum Abend hatten wir Gewitterregen. An meiner Fundstelle waren heute folglich Pilze zu erwarten. Die vorsorglich mitgenommene Tüte war genau zur rechten Zeit verfügbar. Wer noch nie den Unterschied zwischen dem Geschmack wildwachsender Champignons und denen aus künstlicher Aufzucht erleben konnte, hat eben keine Vorstellung von meinem heutigen Omelett. Einfach eine Köstlichkeit.
Nachdem ich mich an dem Gruß und der anmutigen Gestalt von Irina mit dem Rottweiler erfreut hatte, übersah ich beinahe eine Neuigkeit. Am Rand der Allee pickten zwei gleichfarbige Tauben. Erst beim zweiten Hinsehen kam ich darauf, dass sie Jungvögel zu der einzelnen Ringeltaube sein müssten. Einfarbig grau, mit einem noch sehr schwach ausgeprägten dunkelgrünen Halsring.
Meine neuen Freundinnen vom mobilen Blumenstand haben mich auf meinem Rückweg gefragt, was ich denn mit den Champignons tun wolle. Wir haben uns darüber verständigt, dass auch sie Pilze kennen. Sie sind eben wie ich „Kinder des Krieges“. Nach 1945 groß geworden.

Eine von ihnen drückte das etwas poetisch aus. „Weil wir immer Hunger hatten, kannten wir alles Essbare, auch Pilze, mit Vor-und Vatersnamen.“ 
Den Vatersnamen kennen wir in Deutschland nicht. Die Slawen verwenden ihn als Zeichen der Ehrerbietung oder der freundschaftlichen Nähe gegenüber anderen Personen. 
Die alte Dame hatte sehr eigenwillig, aber deutlich ausgedrückt, was auch wir in den Jahren nach 1945 einfach fühlten: von den Lebensmitteln hing unser Leben wahrhaft ab. 
Auch heute noch sind diese Frauen und ich einer Auffassung: Brot muss ausreichend im Hause sein – nur nicht zu viel. Damit es nicht verschimmelt. Ebenso wird alles auf dem Teller aufgegessen. Nur wer Tiere im Hof hat, welche die Reste verwerten können, darf etwas übrig lassen. 
Die Kinder des Krieges in der Ukraine und aus Deutschland sprechen da eine gemeinsame Sprache. 
Denn in jedem Stück Brot steckt außerdem viel achtenswerte Arbeit. Was in den Überfluss- und Spaß-Gesellschaften des heutigen Westeuropa nur noch die damit direkt Beschäftigten zu würdigen wissen. 
Weil auch in den Angeboten des Internets so viele idiotische Angebote der Art geistern, die beispielsweise „keine Vorkenntnisse nötig“ und „nur zwei Stunden täglich“ für recht solide Einkünfte versprechen. Damit ausreichend Dummköpfe fangen. Wie sagte Bert Brecht passen: „Die Reichen sind reich, weil die (geistig armen – meine Ergänzung) Armen arm sind.“
Kurz vor dem Haus, in dem wir wohnen, traf ich einen Nachbarn. Er war unterwegs zum Basar. Wir besprachen die neuesten Ereignisse, darunter die gestrige Militärparade in Kiew. Er erzählte mir den frischesten Witz. 
Sagt einer seinem Kumpel: „War zur Besuchsreise in der Brotfabrik. Esse kein Brot mehr. Danach Besuch im Schlachthof. Fleisch esse ich nun auch nicht mehr. Geplant ist ein Besuch in der Schnapsbrennerei. Fahre nicht mit...“ 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger






Kurzer Rock...



Es war gestern am Morgen schwülwarm. Die Damen der Schöpfung entsprechend leicht bekleidet. Erstmalig machte ich mir darüber Gedanken, weshalb sie so eigenartig handeln. 
Die erste Mittzwanzigerin, welche mir begegnete, zupfte an ihrer Bluse, scheinbar um den freigiebigen, hübsch gefüllten Ausschnitt vor meiner Einsicht zu verkleinern. Warum hatte sie das nicht schon vor dem Verlassen ihrer Wohnung getan? Die nächste, etwa gleichaltrige junge Frau hatte ihre hübschen Beine bis weit über die Knie freigelegt. Zog in Blickkontakt mit mir an dem recht kurzen Rock, als ob sie einen größeren Teil ihrer gesund gebräunten Oberschenkel nachträglich ein wenig bedecken wollte. Erneut die Frage: weshalb erst nach meinen Blicken? Ich bilde mir mit knapp 80 Jahren nicht mehr ein, dass meine Augen beim Anblick weiblicher Schönheit „versengend“ strahlen. 
Dann fiel der Groschen. 
Die Reaktionen beider Hübschen sind ganz natürlich, stereotyp. Damit ja kein Mann das offenherzige Angebot übersieht – wie alt der auch ist – sie weisen mit der anscheinend verschämten Geste der Hand darauf hin: schau her, hier gibt es etwas für dich Bemerkenswertes. Mädels, das sehe ich gern. So, wie es nach meiner Meinung Pablo Picasso sagte: „Trinkt, ihr Augen, trinkt.“ 

Danach trafen wir den weißen Samojeden. Eigentlich dürfte der Hund nicht, was an ihm zu sehen ist. Denn Gottfried Keller meinte: „Zum Lachen braucht es immer ein wenig Geist; das Tier lacht nicht.“ Allerdings haben die Samojedenhunde so eigenwillig gestellte Augen und verziehen ab und an ihre Miene so, dass es aussieht, als ob das Tier lächelt. Das sah ich heute zum ersten Mal. 
Zum Ende des Spazierganges kam uns eine Frau mit nur noch einem Hund entgegen. Ich befahl Kai, das kleine Tier in Ruhe zu lassen. Er gehorchte. Da mischte sich die Herrin des Tierchens ein. „Ihr Hund ist doch gutmütig. Lassen sie die beiden ruhig einander beschnuppern. Meinem Hündchen fehlt Gesellschaft. Unser zweiter ist gestorben. Das ist bemerkbar, war ja ein Mitglied der Familie.“ Das konnte ich nachempfinden. 
Überraschend fragte die Dame: „Sagen sie bitte – ich sehe sie in der Straße schon recht lange – wie alt sind sie?“ Als sie mein Alter erfuhr, sagte sie: „Sie sehen für das Alter noch sehr rüstig aus. Leben sie noch lange und gesund.“ Den Wunsch gab ich mit Dank zurück. 

Als letztes am Erlebnis Dienstag: mir wurde eine kleine bemerkenswerte Aufzählung in Russisch zugeschickt.

Hier ist die Übersetzung.  

Danken Sie dem Schöpfer…

Jedes Mal, wenn ich die laufenden Klagen aus meiner Umgebung über das Leben höre, über unzureichendes Geld, über kleine Streits und Beleidigungen…
Jedes Mal, wenn ich die mich ärgernde Bemerkung von Leuten höre, die es warm haben und satt sind: „Na ja, wie kann es noch schlimmer sein?!“ …
Jedes Mal erinnere ich mich an die berühmten Worte von Georg Karlin. Er wusste, was er sagte, nicht vom Hörensagen.

„Danken sie dem Schöpfer dafür, dass sie erfassen:


·       *  wie ihr Ehepartner jede Nacht die Decke zu sich hinüberzieht, denn er schläft bei ihnen und   
       zieht nicht irgendwo umher;
·      * den Teenager, der Fernsehen schaut statt abzuwaschen – weil er daheim ist und nicht durch 
       die Straßen schlendert;
·        *  die zu zahlenden Steuern, denn das bedeutet doch, dass sie Arbeit haben;
·         *  für das Aufräumen nach jeder Party – denn sie haben noch Freunde;
·         * die Kleidung, die zu klein wurde – sie haben also genug zum Essen;
·         *  den zu mähenden Rasen und die zu wischenden Fußböden – denn sie haben doch ein Haus;
·             Beschwerden über die Behörden – sie genießen Meinungsfreiheit;
·        *  die Parklücke, welche sie ganz hinten auf dem Parkplatz fanden, denn sie können noch gehen 
       und haben ein eigenes Auto;
·         *  die hohe Rechnung für die Heizung – sie haben es warm;
·        *  den wenig harmonischen Gesang einer Dame auf der Party – sie können das noch deutlich 
       hören;
·        * den Berg Schmutzwäsche, den es zu waschen gilt – sie und ihre Familie haben ausreichend 
       anzuziehen;
·         *  das Klingeln des Weckers in aller Herrgottsfrühe – denn sie leben noch;
·         * alle e-mails – denn ihre Freunde denken an sie.

Mit einem Satz aus der Aufzählung bin ich nicht einverstanden. „… den Teenager, der Fernsehen schaut statt abzuwaschen – weil er daheim ist und nicht durch die Straßen zieht;…“. Wenn da stände: „Den Teenager, der Schulaufgaben gemacht, Abwasch und Einkauf erledigt und sich im Sportklub getummelt hat, nun aber vor dem Fernseher eingeschlafen ist… und nicht durch die Straßen zieht;“ – dann würde ich meinen: der junge Mensch ist sehr gut auf die Anforderungen des täglichen Lebens vorbereitet. Durch seine lieben verständnisvollen Eltern. Die sich dafür loben dürfen. Denn nicht alles, was dem Schöpfer überlassen wird, kann der erledigen. 
Wie sagte Thomas von Aquin vor rund750 Jahren: „Für Wunder muss man beten. Für Veränderungen aber arbeiten.“ 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger           





Wes Herz voll ist...



„Wes Herz voll ist, dem geht der Mund über.“ lautet ein altes deutsches Sprichwort. Deshalb einige Zeilen. 
Vorgestern sah ich beim Morgenspaziergang einen haltenden Mercedes-PKW mit deutschem Nummernschild. Da sich unweit eine größere Bushaltestelle befand, meinte ich, dass Landsleute dort um eine Auskunft baten. Also überquerte ich die Straße, um meine eventuell weitergehende Hilfe anzubieten. 
Die drei Frauen, welche ausgestiegen waren und neben dem Fahrzeug standen, unterhielten sich auf Russisch. Vorsorglich grüßte ich also auf Ukrainisch, Russisch und Deutsch. Fragte, ob ich behilflich sein könnte. Eine antwortete, dass ihr Mann soeben mit einem in der Nähe wohnenden Freund telefoniere und dankte mir. Danach fragte ich auf Deutsch, woher sie denn kämen, weil mir wegen langer Entwöhnung das Kennzeichen am Auto unbekannt sei. 
Mit der Auskunft „Saarbrücken“ bekam ich in Deutsch mit deutlicher slawischer Aussprache die mir erstmalig im Leben gestellte Frage nachgereicht, wo ich mein akzentfreies Deutsch gelernt hätte. Nach der etwas erstaunt aufgenommenen Erklärung – ich bin schon mehr als 21 Jahre im Land – rief ich den Hund zu mir. Auf das „Kai bei Fuß“ folgte Gelächter. Denn zufällig heißt der mir noch unbekannte deutsche Freund der Familie hier in Bila Tserkva ebenfalls Kai. Wir verabschiedeten uns guter Laune voneinander. 

Heute nun war der Morgen voller Erlebnisse. Zuerst sah ich die Bachstelze, von welcher ich schon schrieb. Das mit ständig wippendem Schwanz hüpfende Vögelchen macht auf mich den – vermenschlichten – Eindruck, als ob es ständig fröhlich wäre. 
Dann kam uns eine sehr runde, obwohl noch junge Frau entgegen mit einem gutmütigen weißen Hund unbestimmter Rasse, dessen beide wie beim Spitz hochstehenden Ohren in der oberen Hälfte rot sind. Dazu hat er über dem rechten Auge einen ebenfalls roten großen Fleck, so dass er ein wenig an den Seeräuber Flint erinnert – mit der schwarzen Augenklappe. Mit Kai gab er sich nur kurz ab, kam aber dafür zu mir. Er mag meine Streicheleinheiten hinter den Ohren und unter dem Kinn besonders. Seine Herrin gönnt ihm das Vergnügen. 
Etwa 80 m weiter überquerte ein Ehepaar mit zwei gutmütigen Alabai-Hunden die Straße. Kai war nahe dran und beschnupperte die Hundedame ausgiebig. Wir kennen die Tiere und ihre Besitzer schon längere Zeit. Sie hatte es offensichtlich eilig, denn sie warteten diesmal nicht auf mich. 
Dafür bekam ich eine außerordentliche Überraschung. 
Per Fahrrad kam Julia auf uns zu, ihren schwarzen gutmütigen Schäferhund Balu angeleint daneben. Wir kennen die etwa 25-jährige schon länger. Sie hat mit ihrem Nachbarn, einem älteren Juristen, am Fluss ihren und dessen Hunde spazieren geführt. Hatte sie etwa ein halbes Jahr nicht gesehen. Sie ist groß, schlank, sehnig, mit einem sehr interessanten Gesicht. Julia hielt an: „Schön, sie gesund zu sehen. Guten Morgen!“ Ich erwiderte den Gruß, drückte meine Freude über die unverhoffte Begegnung aus. Fragte, wohin sie wolle – während Balu erst Kai, dann mich beschnüffelte. Sie arbeite woanders – aber im Gestüt, wo sie einst tätig war, hat man sie in der Urlaubszeit um Hilfe gebeten. Deshalb sei sie am Wochenende dort. Wir tauschten danach noch einige Informationen aus. Sie schaute auf ihre Uhr. „Entschuldigen sie – ich möchte nicht zu spät kommen. Auf Wiedersehen.“ Sie beugte sich zu mir, zog mit einer überraschenden Bewegung meinen Kopf näher zu sich und küsste mich auf die Wange. 
Da es bisher noch nie Vertraulichkeiten zwischen uns gegeben hatte, war ich wie vom Blitz getroffen. „Julia, was war das?“ „Sollten sie mit ihrer Lebenserfahrung doch wissen. Wenn ich sie sehe, muss ich lächeln – danke.“ Sie fuhr winkend weiter. 
Bei mir kehrte eine unwiderstehliche Freude ein. Diesen Post schreibe ich am späten Nachmittag. In bester Stimmung. Danke, Julia! 
Meine Natascha bemerkte nach meinem Bericht: „Soso, in deinem Alter noch Liebhaber junger Mädchen spielen. Mache mal so weiter.“ Lächelte dabei verständnisvoll. 

Bleiben Sie recht gesund! 

Ihr 

Siegfried Newiger