Wer
sprachliche Barrieren überwinden muss, hat es nicht immer leicht. Vor allem
dann, wenn die Themen der Unterhaltung, über die aus Gründen der Notwendigkeit
unbedingt gesprochen werden muss, sachlich weit auseinander liegen. Genauer: wenn
geradebrecht wird.
Leichter ist es dann, wenn Berufserfahrung mit eingebracht
werden kann. In der sich unsere ukrainischen Kollegen wenig von uns
unterscheiden. Selbst relativ junge Burschen haben Erfahrungen, die bei jungen
Deutschen heute so reichhaltig selten zu finden sind. Wenn ein junger ukrainische
Meister aus der Mechanik-Werkstatt den Elektroantrieb eines Winkelschleifers
vor unseren Augen auseinander nimmt und wieder funktionsfähig macht, ist das
ein Zeichen jener Findigkeit, welche durch die unterschiedlichen Situationen
und noch mangelnden Möglichkeiten ihrer Bewältigung durch Spezialisten herangebildet
worden ist.
In den fast drei Wochen unseres Hierseins hat sich das gute
Verhältnis aus den ersten Besuchen noch mehr gefestigt. Wenn ich zu den einzelnen Meistern
oder Gruppenleitern komme, um einen Winkelschleifer oder anderes Gerät
zeitweilig auszuborgen, finde ich die Minute, um nach der Gesundheit des
Gesprächspartners zu fragen, ob der Sprössling wieder wohlauf ist, der Urlaub
oder wenigstens der Sonntag erholsam oder der Angelausflug erfolgreich waren. Die
Begeisterung für die Brüder Klitschko besteht auf beiden Seiten – ich bin mit
meinen Bemerkungen zum Boxkampf Klitschko-Powetkin sofort noch angesehener.
Folglich bekomme ich immer recht
bereitwillig direkt oder von anderen besorgt alles, was wir benötigen.
Bei den
Ukrainern haben wir ein modernes Analysegerät für die Bestimmung der chemischen
Bestandteile von Edelstahl vor dem Schweißen gesehen – einfach fantastisch. Nur
auf den Draht halten, einschalten, nach kurzer Zeit ist auf einer Art
Handybildschirm die genaue chemische Zusammensetzung des Stahls abzulesen.
Andererseits bewundern sie einige der von unseren Kollegen mitgebrachten
Meßeinrichtungen – zum Beispiel eine extrem genaue Wasserwaage in Form eines
sich nicht verziehenden metallischen quadratischen Blocks.
Was beiden Gruppen
von Kollegen gemeinsam ist: der sorgfältige Einsatz aller dieser Messmittel. Konsequent
nach der alten Weisheit: „Lieber neun Mal messen, als einmal zu viel
abschneiden.“ Denn in der Metallverarbeitung ist nach fehlerhaftem Verkürzen noch
etwas abschneiden leichter, als an zu kurzem wertvollen Material wieder ein
Stück anzusetzen.
Wenn am Morgen auf unserem Arbeitstisch ein von „Unbekannt“
abgelegter kleiner Berg frischer Walnüsse liegt, die so leicht zu öffnen sind
wie kalifornische und auch sehr schmackhaft, ist das doch ein gutes Zeichen
menschlicher Beziehungen untereinander.
Andererseits: unserem ukrainischen
Kollegen Denis fiel seine Sicherheitsbrille für Schleifarbeiten herunter, zersplitterte.
Spontan lief unser Patrick zu seinem eigenen Werkzeug, holte dort eine sehr
moderne, als Reserve eingepackte, fast unzerbrechliche Brille heraus und
schenkte diese mit freundlichem Lächeln dem immer hilfsbereiten Ukrainer. Beide waren zufrieden
– der Gebende wie auch der Beschenkte.
Meine Kollegen fragen nach der für sie
immer gleich klingenden Bemerkung einzelner ukrainischer Arbeiter, welche mit
mir scherzen – wissen sie doch, dass ich sie mental verstehe. Denn auf mein
„Danke schön“ für eine unmittelbaren kurzzeitige Hilfe (Anheben eines schweren
Werkstückes oder ähnliches) kommt manchmal das „Dankeschön kann man nicht in
die Tasche stecken.“ oder „Dankeschön gluckert nicht.“ Das erste bedeutet, dass
für die Leistung ja nichts bezahlt wurde – das zweite, dass kein Fläschchen mit
Bier oder Stärkerem herüber gereicht wurde – in dem Lande übliche Entgelte für
technische Hilfeleistungen. Das ging meinen Jungens ein. Aber wir kamen ohne
diese „Währung“ aus.
Der Abschied war kurz und herzlich. Die Einladung der Männer
an uns, doch wieder zu kommen, beantworteten wir damit, dass wir gerne kämen,
es aber lieber sähen, wenn unsere Technik bei ihnen einwandfrei funktionieren
würde.
Bleiben Sie recht gesund!
Ihr
Siegfried Newiger
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