Aus dem Leben eines Tauge-noch-was 3


Es ist immer wieder eine besondere Aufgabe, Besucher aus Deutschland an die ukrainische Alltäglichkeit heranzuführen. Das gilt allerdings für jedes Land in der Welt. Der Tourist erfährt gewöhnlich alles das, was, bildlich gesprochen, „in der guten Stube“ zu sehen ist und abläuft. Richtig zum Staunen kommt er eigentlich nur, wenn er auch „in die Küche“ schauen darf.

Wir hatten die Montage der Spezialmaschine eben erst begonnen, als der elektrische Hallenkran ausfiel. Er war in die nagelneue Halle, gebaut nach besten westeuropäischen Vorstellungen, aus einer anderen übernommen worden. Nach äußerem Anschein hatte er eigentlich schon lange sein „Werksleben“ beenden sollen. Allerdings kann nicht jedes Investitionsobjekt auch nagelneu ausgerüstet werden. Das findet man auch in deutschen Werkhallen. Nur war der Ausfall bei unserer beschränkten Montagezeit besonders unangenehm. Die ukrainischen Partner fanden eine Lösung: ein Autokran. Dessen bejahrter Motor stieß solche Abgaswolken aus, dass ein Mitarbeiter des deutschen TÜV schon vom Hinschauen eine Gasvergiftung bekommen hätte. Allerdings war der Fahrer-Operator ein exzellenter Fachmann. Mit seiner Hilfe bekamen wir die Großteile millimetergenau platziert.

Unser Mittagessen bekamen wir zwei Tage in einem kleinen Lokal, wenige Minuten vom Werk entfernt. Meine „Schutzbefohlenen“ wurden zunehmend wagemutiger bei der Auswahl der Gerichte und waren sehr erstaunt, dass nicht eines ihre Erwartungen enttäuschte. Allerdings kostete uns diese Mittagspause Zeit, denn wir mussten uns ja auch zweimal umziehen. Deshalb entschlossen sich beide mit meinem Hinweis, in der Betriebskantine zu essen.


Die einst nach sowjetischem Vorbild zur Struktur des Unternehmens gehörende Kantine war im Bereich „Küche“ von der Firma getrennt worden. Eine sauber gekleidete Frau mittleren Alters brachte auf einem Wägelchen die daheim gekochten bzw. zubereiteten Gerichte in den relativ kleinen Speiseraum. Gewissermaßen ein „Mini-Catering“. Zur Essenausgabe zog sie weiße „Kochkleidung“ an und stellte alle Salate sowie Fleisch- und Fischgerichte auf die Vitrine, die Beilagen blieben zum Warmhalten in den mit Tüchern umwickelten Töpfen. Meine Kollegen konnten also mit den Augen eine Vorauswahl treffen und sich von mir erklären lassen, was dort angeboten wurde. 


Zu ihrem Erstaunen waren alle der von ihnen georderten Gerichte schmackhaft und, wie sie deutlich formulierten, nicht eines aus der Tiefkühltruhe. Tomatensalat mit dem natürlichen Aroma der Tomate, Gurkensalat ebenfalls – die Mischung beider einfach nur köstlich Eben echte Hausmacherkost.
Außerdem erstaunte sie der recht geringe Preis, deutlich viel unter dem des Essens im Restaurant. Ich durfte der Köchin im Auftrag der Männer ein Kompliment machen, das sie sichtlich erfreute. Denn beide hatten sich angewöhnt, wie es in slawischen Haushalten üblich ist, nach dem Aufstehen vom Tisch sich zu bedanken. Ihr „Spasibo!“ mit Akzent wurde mit dem “Budj lasko!“ – das ukrainische „Danke sehr!“ – beantwortet. Sie, die in der DDR noch Russisch hatten lernen sollen, erstaunte die unbekannte Wendung doch – sie hatten das russische „Poshaluista!“ erwartet. So gab es eine Möglichkeit begründet darauf aufmerksam zu machen, dass die ukrainische Sprache zwar eine slawische ist, aber kein Dialekt des Russischen, sondern eine eigenständige.

Wir hatten auch am Sonnabend gearbeitet, um den zeitgerechten Termin der Inbetriebnahme abzusichern. Allerdings war der Sonntag arbeitsfrei. Für unsere Partner gab es ein Problem. Wegen der anderen Zählweise der orthodoxen Kirche sind alle Kirchenfeste gegenüber westeuropäischen zeitlich versetzt. Dieses Wochenende war Pfingsten und selbst in diesem Lande „absolut arbeitsfrei“ – was für alle jene nicht gilt, für welche durchgehend Arbeitstag ist – Mediziner und ihr Personal, Mitarbeiter im öffentlichen Straßenverkehr, Polizei … Auch in den Familien war langfristig vorgeplant. Wie uns „beschäftigen“?

Um meinen Kollegen ein wenig zu zeigen, wie es auf einem ukrainischen Wochenmarkt zugeht – der auch die ganze Woche geöffnet ist – habe ich nach einem etwas späteren Frühstück zum Spaziergang in das Zentrum und zum Hauptmarkt der 465 000 Menschen zählenden Stadt eingeladen. Es war für alle Seiten ein Erlebnis. Man kann dort auch Tast- und Geruchssinn einsetzen, um die Wirklichkeit zu erfassen. Die Männer waren vor allem von den vielen hübschen bis schönen Frauen angetan, welche uns auf dem Gang über den Basar begegneten. Allerdings ohne Tasten …

Als erstes passierten wir den „Kunstmarkt“ – eine Mischung aus vorwiegend Bildern, ab und an interessant, aber meist nur „gefällig“, dann Geschnitztes, Geflochtenes, Getöpfertes und das wenig aufregende Gewimmel des „Andenken-Angebots“ – in nichts von westlichen Märkten unterschieden. Danach der so genannte „Vogelmarkt“ – dort werden Kleintiere angeboten. Erstmals im Leben sah ich eine nackte Katze. Aber ich konnte es mir nicht versagen, die beiden auch angebotenen kräftigen Alabai-Welpen mit Erlaubnis des Verkäufers zu streicheln. Der Riese Athos, den wir hatten abgeben müssen wegen der kleinen Wohnung – er ist für mich immer noch gegenwärtig …

Die Waren auf dem anschließenden Marktteil recht bunt gemischt – viel aus China, der Türkei – wenig interessant. Aber die Obst- wie Gemüsestände, die Fleisch- und Fischpavillons waren mehr nach dem Geschmack der beiden. 

Im Fleischpavillon trotz Sommerhitze nicht eine Fliege, alles Fleisch offensichtlich frisch. Kommentar: „Hier kauft sicher auch unsere Hausfrau ein.“

Den Fischpavillon verließen wir recht rasch. Es ist nicht jedermanns Sache, zum „Duft“ von Frischfisch auch die Überlagerung mit den Gerüchen nach hiesiger Sitte zubereitetem Dörr- und Räucherfisch, Salzhering aus der Tonne und ähnliches zu ertragen.


Außerdem gab es einen kleinen Zwischenfall. Fast am Eingang schon kam eine recht kräftige Frau fast über den Ladentisch: "Kaufen sie doch hier. Frischer Zander ...". Ich unterbrach sie: "Das sind Gäste, nur zum Schauen hier." Sie, meinen leichten Akzent doch bemerkend: "Woher denn?" "Aus Deutschland." Sie, weithin hörbar: "Euch können wir nicht mehr leiden. Ihr wollt nicht nur die Julia (Timoschenko) heilen, sondern auch aus dem Kittchen holen. Die können wir auch nicht leiden."  Meine Begleiter waren noch der Übersetzung etwas irritiert...


 Dann der Besuch an den Obst- und Gemüseständen. Einer von ihnen schnupperte an einem Apfel. Kommentar: „Hier riechen Äpfel noch wie Äpfel.“ Reife Tomaten, kleine frische grüne Gurken, andere Spezialitäten wurden begutachtet und für sehr gut befunden. Erneut eine Bemerkung zur Erfahrung: „Auch von hier scheint die Hausfrau Nachschub zu holen.“

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger


      

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