Erstaunlicher Tauchgang

Für den ganzen 22. Mai war in der Region Regenwetter angekündigt – ganztägig. Das war die Theorie. In der wie häufig etwas anderen Praxis war der Himmel zwar bewölkt – aber die Sonne schaute immer wieder hervor. Durchwachsenes Wetter, wie man sagt. Es wurde angenehm warm.
Uns wurde vorgeschlagen, das „Ende der Welt“ zu besuchen. Erst an den Schliersee, dann zum Tegernsee. Aber nicht über die Autobahn, sondern „über die Dörfer“ – um mehr von dem Charakter dieser oberbayrischen Ansiedlungen zu erfahren.

Fährt oder geht man durch Celle, wird sichtbar, dass vieles in der Erhaltung historischer Bausubstanz dem Streben nach Attraktivität für die Touristen untergeordnet wurde – es ist für mich zu viel „schön alt“. In den oberbayrischen Dörfern, durch welche wir fuhren, steht noch die eine oder andere recht heruntergekommene Scheune oder auch ein nicht gerade schmuckes Wohnhaus – nur die meisten Wohnbauten sind nutzerfreundlich gepflegt. Der regelrecht fürsorgliche Umgang mit Holz spiegelt sich nicht nur in der regelrecht fühlbaren „genussvollen“ Verwendung als Baumaterial – die sauber gestapelten Brennholzvorräte lassen die Achtung vor dem „nachwachsenden Rohstoff“ ebenfalls sichtbar werden.
Mit der kleinen Schlierseealm-Seilbahn hochgefahren auf diese Alm mit zauberhaftem Blick auf See und Umland, erwähnte unser Begleiter, dass es im Lande den Spruch gäbe: „Ich wünsch mir `nen Biersee so groß wie der Schliersee.“ Reim dich – oder ich fress dich …
Dann fügte er dazu, dass er mit dem Bier aus Ayling, welches hier ausgeschenkt wird, nicht ganz zufrieden wäre. Daran ändere auch nichts, dass in der dortigen Brauerei-Schänke schon Putin davon getrunken habe. Für ihn müsse der Schliersee dann schon mit „Spezial“ aus der Herzoglichen Brauerei am Tegernsee gefüllt sein …
Weil unser Kleingeld eben für drei Benutzer reichte – ich war zu faul wechseln zu gehen – wurden auch nur die in die kleinen Wägelchen der eigentlichen Kinderattraktion „Zahnradbahn-Rundfahrt“ gesetzt. Unser junger Mann hatte, während ich die Szene auf Video bannte, etwas Mühe, die körperlich sehr robuste Natascha regelrecht – also auch mit Anschnallen – in ihrem Freiluftabteil unterzubringen. Jauchzend vor kindlichem Vergnügen – gut, dass diese Regung bei allen dreien noch bewahrt ist – begaben sich drei Erwachsene auf „große Fahrt“.

Weil unterdessen ein paar Regentropfen gefallen waren, hätte eine „Veranstaltung“ beinahe ausfallen müssen. Von der Alm abwärts kann man nämlich auf drei Varianten gelangen: wandernd, mit der Seilbahn und auf einer Art „Mini-Bobbahn“. Die beiden knapp über dreißig Jahre alten „jungen Leute“ entschieden sich für das letzte Abenteuer. Die Verhandlungen mit dem Aufsichtspersonal endeten mit dem Erfolg für die inzwischen drei „Abenteurer“ – es war noch ein junger Mann dazu gekommen. Natascha und ich nahmen die Seilbahn – um unten die „Raser“ zu fotografieren bzw. auf Video zu bannen. Die beiden haben also erst die Reise begonnen, nachdem sie sahen: die Kabine ist unten und wir müssten Zeit gehabt haben, sie von der Zielplattform her zu empfangen.
Nur gut, dass unser Begleiter mit lachendem Gesicht als erster die Bahn heruntergekommen war. Denn: wir warteten relativ lange auf Svetlana. Als sie – ebenfalls, aber besonders fröhlich lachend – endlich kam, erfuhren wir den Grund ihrer fast überschäumenden Fröhlichkeit: sie war aus der Bahn geworfen worden! Zum Glück konnte sie den „Schlitten“ mit herausreißen, sich danach wieder „einfädeln“ und doch auf erwartetem Wege zu uns kommen. Der junge Mann hätte bei anderer Reihenfolge vielleicht auffahren können …

Weiter nach Tegernsee.
Zum Umfeld: wie oben schon geschrieben. Angenehm für Augen und Verstand. Nicht etwa deswegen, weil ich dort alles für absolut vollendet ansehe – aber doch so, dass ich mir nicht zutraue, sachlich vernünftige Änderungsvorschläge zu machen. Dazu müsste ich hier leben.
Vom Ort selbst habe ich nicht so viel wie erwünscht erfasst. Wir bekamen ein kurze Dusche vom Himmel und beeilten uns deshalb, unter das schützende Dach des Freiluftrestaurants der Herzoglichen Brauerei zu kommen. Dort mundete das schon erwähnte helle „Spezial“ wirklich sehr gut und die Spezialität des Hauses erst recht. „Obadza mit Zwiebeln“ – ein Teller mit drei hellgelbe Kugeln eines cremig-teigig gerührten Frischkäses, auf recht eigenwillige Weise interessant gewürzt, dazu klein geschnittene rote und weiße Zwiebel. Die dazu gereichte Salzbrezel stückchenweise in die Quarkmasse tunken, fest andrücken, die haftende Masse in die Zwiebelhäufchen – ab in den Mund. Köstlich – unsere aller vier Meinung.
Sveta passierte das zweite Missgeschick am Tage: die junge eifrige Kellnerin kippte, als sie die leeren Teller von der Tischmitte nehmen wollte, das noch zu einem Drittel gefüllte Glas über Tisch und Hose. Die Situation wurde von Svetlana, mit der Tätigkeit als Servierkraft vertraut, sehr vernünftig entschärft. Sie nahm das junge Mädchen kollegial um die Schulter und sagte: „Ist doch nicht so schlimm, das ist doch menschlich.“ Die junge Frau war sichtlich erleichtert – ich stolz auf unsere Tochter. Das neue volle Glas „Spezial“ teilte sie mit mir …

Unser junger Mann machte mich auf das so genannte „Ende der Welt“ aufmerksam. Am gegenüberliegenden Ufer sieht man kein Auto. Dort fährt als einziges größeres Verkehrsmittel eine Eisenbahn. Straßen seien nur auf das Notwendigste beschränkt ausgebaut, die dahinter liegende Bergregion gehöre schon bald zu Österreich. Interessant sei dieser Bereich im Winter. Man könne deutlich die Schneegrenze ausmachen – fast wie mit einem Messer geschnitten die Trennlinie zwischen dem Grün der schneefreien Nadelbäume und den weiß gepuderten etwas höher.

Nach unserer Vesper gingen wir bei erneutem Sonnenschein ein wenig am Ufer spazieren. Dort bereitete uns ein Pärchen Kolbenenten eine Überraschung. Beide Vögel tauchten in dem sehr klaren Wasser mehrfach und sichtbar recht tief und relativ lange, um vom Seegrund Wasserpflanzen zu pflücken, die sie oben verspeisten. Er war erfolgreicher und Kavalier – gab seiner Dame nach deren Drängen etwas ab. Sie andererseits erwies sich als zänkisch. Sie „überfiel“ eine friedlich vorbeischwimmende Stockente und beide rauften miteinander. Als beide Erpel in die Nähe kamen, trennten sich die schnatternd schimpfenden Weibchen.

Auf der Rückfahrt kauften wir an einem der als „Erdbeere“ geformten und eingefärbten Kioske die frisch geernteten Beeren. Ein wenig teurer als Importe – dafür aber selbst nicht ganz ausgereifte Exemplare deutlich schmackhafter.
Wieder ein gelungener Tag.


Allerdings noch nicht am Ende. Wir hatten gemeinsam zu Abend gegessen, gingen bei ganz leicht einsetzenden Regen in unser Ferienquartier, als Natascha auf die andere Straßenseite zeigte, auf einen dort stehenden Toyota Avensis. Mit ukrainischer Nummer! Wir wechselten hinüber, als die Besitzer aus dem Lokal kamen, um einzusteigen. Meine Gute fragte bzw. begrüßte auf Ukrainisch, was leichte Verwunderung auslöste. Wir machten uns bekannt – die Insassen waren auf einer Messe in München gewesen. Die Schlussfolgerung: für das Dorf ist ein Fahrzeug aus der Ukraine eine Besonderheit – zwei gleichzeitig sind fast eine Sensation.

Bleiben Sie recht gesund!

Ihr

Siegfried Newiger



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